Mo 20. Feb 2023, 20:24
Grauwacke hat geschrieben:Gibt es ggf. eine Erklärung dafür, warum dies im Hunsrück nicht geschah?
Viele Grüße, Dirk
Die Vergabepraxis der großen Staatsunternehmen in der Zeit ab 1910 und erst recht nach dem Krieg war nicht einheitlich. Zwar bemühte man sich ab 1871 um Vereinheitlichung in vielen Bereichen (Stellwerk Einheit), dennoch hatten sich bei den Bahnen immer noch regionale Präferenzen erhalten.
Zudem war es "Programm", gerade in den wirtschaftlich schwachen Zeiten nach 1918 regionale Unternehmen einzubinden, eine Art Wirtschafts- und Arbeitsplatzförderung in strukturschwachen Regionen.
Generalunternehmer der Strecke war die Bernhard Liebold AG aus Holzminden, wobei Bernhard Liebold in Lüchtringen ein "Maurerdorf" betrieb, wo alte Handwerkstugenden wie das Behauen von Steinen gepflegt wurden. Liebold machte die Bopparder Firme Genius zum Subunternehmer, ein ausgewiesen traditionell arbeitender Betrieb. Auch die Mengerschieder Brücke wie auch weitere Viadukte und der Bahnhof Gemünden sind aus behauenem Sandstein gefertigt. Hierbei passen die rechtwinkligen Steine gut zu der Architektur im Bauhaus-Stil: Schlichtheit und Funktionalität waren die Prämissen, nicht der Historismus vergangener Jahre.
Auch die eingesetzten Gastarbeiter, etwa aus Italien, zeigten in der Fremde ihr Können. Ihr Werk und die Anerkennung der Betrachter machten sie fern der Heimat stolz.
Auch unter erschwerten Bedingungen sein Bestes zu geben, war eine Selbstverständlichkeit, in der heutigen Arbeitswelt wo man fleißig fast nur fordert, klagt und burn-outet kaum zu glauben.
Das Gesamtkunstwerk einer solchen Strecke wird heute weder ästhetisch noch funktional noch von ihrem historischen oder gesamtökonomischen Wert her betrachtet, die Betriebswirte in ihrer Froschperspektive rechnen jeden Stein auf Bauschutt-Niveau herunter und...lassen ihn schreddern.
1922 dachte man anders. Man schaffte für die Ewigkeit, nicht darauf hin, daß es in ein paar Jahren wieder Reparaturaufträge gibt.
Das zweite Mengerschieder Viadukt 1920
Bahnhof Gemünden
Stolz auf den Arbeitgeber Bahn und Stolz auf die geleistete Arbeit zum Wohle des Volkes sprechen aus diesen Gesichtern.
(Rotte im Hunsrück um 1910).
Ein entschiedener Förderer des Bahnbaus im Hunsrück darf in dieser Betrachtung nicht fehlen.
Pfarrer Albert Hackenberg, später auch preußischer Abgeordneter des Reichstages, der über Bad Kreuznach, Berlin, Erlangen und Bonn, allesamt prosperierende Städte im aufblühenden Imperialismus in den Hunsrück kam, war schockiert von der kargen Armut von Land und Leuten. Die Erschließung der Region durch Bahn, Post, Fernsprecher, aber auch mit Bildungsstätten war ihm ein lebenslanges Anliegen.
Bis in die 1950er Jahre ein sehr geschätzter Anschluß an die große Weite Welt:
VT 95 in Mengerschied auf dem Weg nach Gemünden
Man kann die die nationalsozialistische Gruppierung Kraft durch Freude (KdF) heute -wie alles "damals"- politisch korrekt nach heutigen oberflächlichen und ahnungslosen Maßstäben kaputtreden, man kann aber auch sehen, daß durch KdF-Aktivitäten Millionen Deutsche einmal in den Genuß von Urlaub und Erholung in gesunden Regionen kamen, wo sie mit eigenen Mitteln nie hingekommen wären.
Zudem betrug bis in die 1920er Jahre der bezahlte Jahresurlaub nur durchschnittlich 10 Tage. ohne eine gute Organisation hätte hier niemand eine wirklich erholsame Reise realisieren können.
Das Bild eines KdF-Zuges im Endbahnhof Gemünden 1936 zeigt Urlauber, die sich gleich rund um Gemünden niederlassen werden.
Und manch einem Pseudo-Krupp-geplagten Ruhrpott-Kind standen die Tränen in den Augen, was mir ältere Gemündener berichteten.
"Mama, Papa, was ist es hier so schön."