Bericht in der Rhein-Zeitung heute:
Kreistag will Klarheit bei Hunsrückquerbahn – Land soll Planfestellung zeitnah abschließen
Das Land soll bei der Reaktivierung der Hunsrückquerbahn für Klarheit sorgen und sich mit
dafür einsetzen, dass sowohl finanzielle Mittel des Bundes fließen als auch die Strecke in einen
adäquaten Zustand versetzt wird. Dies fordert der Kreistag des Rhein-Hunsrück-Kreises in einer
Resolution, die am Montag beschlossen wurde.
Die jüngste Kreistagssitzung war eine Zusammenkunft, die viele Überraschungen bot. Zum einen war
der Sitzungsort ein Novum, tagte das Gremium doch im gebührenden Corona-Abstand im Kulturhaus
Rheinböllen. Zum anderen gab es eine nahezu historische Allianz zu feiern: CDU, Grüne und SPD
setzten gleich mehrfach in der Sitzung zum Schulterschluss an. Doch abseits des politischen
Augenzwinkerns bezüglich gefühlter neuer Freundschaften im politischen Spektrum galt es, die
Weichen zu stellen für eine Frage, die hinsichtlich der Mobilität und Infrastruktur der Region Bedeutung
haben könnte. Der gemeinsame Antrag von CDU und Grünen, eine Resolution des Kreistags auf den
Weg zu bringen, war bereits im Kreisausschuss angebahnt worden (wir berichteten) und hat zum Ziel,
nach Jahren des Wartens etwas Belastbares zur Bahnreaktivierung zu hören.
Daniela Lukas-von Nievenheim stellte aus Sicht der Grünen den gemeinsamen Antrag der Fraktionen
vor und sprach vom Dreiklang „Klimawandel, Energiewende, Verkehrswende“. Die „abgekoppelte
Region“ solle wieder an das Eisenbahnnetz angeschlossen werden. Dies sei keine Eisenbahnromantik,
führte sie aus. Klar könne man sagen, dass die Leute auch mit dem Bus fahren könnten, davon gäbe
es durch den gestärkten ÖPNV im Rhein-Hunsrück-Kreis genug. Aber dies sei nun mal nicht das
geeignete Mittel für diejenigen, die nach Frankfurt oder Mainz fahren wollten. Zudem: „Für die
Menschen, die sich hier niederlassen wollen, ist eine zeitgemäße Infrastruktur unverzichtbar.“ Die
Eisenbahn sei Thema für alle Generationen von Einheimischen, aber besonders auch für Touristen und
auch eine Stadt wie Simmern. Letztere sei als Kreisstadt nur eine von 13 Städten bundesweit, die über
keinen Bahnanschluss verfügten, sagte Lukas-von Nievenheim. Sie nahm auch Landrat Marlon Bröhr
in die Pflicht, dass er sich mit seinen Landratskollegen für den Ausbau stark machen solle. „Wir sind
Energiekommune des Jahrzehnts, wir haben einen starken Beitrag zur Energiewende geleistet, warum
sollten wir nicht einen Beitrag zur Verkehrswende schaffen?“, fragte die Grünen-Politikerin in den Saal.
Ein verknüpftes Mobilitätsangebot müsse her, forderte sie und erinnerte daran, dass allein der Bund bis
zum Jahr 2030 insgesamt 86 Milliarden Euro in Bahn-Reaktivierungsprojekte investiere. Jetzt sei die
Zeit zu handeln, damit der Topf nicht am Kreis vorbeigeht. „Sonst fährt der Zug auch ohne Schienen an
uns vorbei.“
Seit Jahren im Koalitionsvertrag
Wolfgang Wagner untermauerte den Antrag seitens der CDU: „Die Reaktivierung steht schon seit mehr
als zehn Jahren im jetzt schon zweiten Koalitionsvertrag, er darf keine Beruhigungspille für die Grünen
sein.“ Mit Blick auf die erste Nachfrage zum Güterverkehr und dem seit Jahren laufenden
Planfeststellungsverfahren sagte er: „Es ist angerichtet.“ Jetzt seien alle notwendigen Faktoren
gegeben. Aber es passiere nichts, es fehle jede Vehemenz, das Projekt weiterzutreiben. „Das müssen
wir ändern“, forderte Wagner und warb dafür, Druck zu machen. Er hält die Bahn für sinnvoll und sieht aktuell zwei Hürden:
Die Kosten-Nutzen-Analyse für die Strecke und das Erörtern dieser Analyse in
Bund-Länder-Gesprächen, in denen es dann um die Umsetzung gehen muss.
Die Zeiten von 4 Millionen Passagieren am Hahn seien zwar Geschichte, erläuterte Wagner, aber dies
sei kein Grund, das Projekt einzustellen. „Zwischenzeitlich gibt es einen Stimmungswandel. Die
Reaktivierung von Bahnstrecken ist politisch plötzlich wieder überall gewollt“, sagte Wagner. „Wir
sollten da nicht hinten anstehen, insbesondere deshalb, weil wir schon eine Pole-Position haben, wir
sind kurz vor dem Ziel.“ Ihm geht es auch darum, Autos und Lastwagen von der Straße zu bekommen.
„Wir müssen diese Jahrhundertchance nutzen, wir reden über eine Entscheidung für Dekaden.
Geschenke, die wir bekommen, sollten wir annehmen.“ Aus diesem Grund plädierte Wagner dafür, „ein
mutiges und mächtiges Zeichen nach Mainz senden, dass wir diese Bahn wollen.“
Nur Wahlkampfklamauk?
Carina Konrad wirkte mit der FDP-Fraktion, die sich bei der Abstimmung geschlossen enthielt,
zurückhaltender: „Mobilität ist ein allübergreifendes Thema“, sagte sie. Der Zeitpunkt der
Antragstellung überrasche aber. Sie erinnerte an die Komplexität des Vorhabens, zu dem ein zweites
Gleis und die Elektrifizierung der Strecke nötig wären. „Uns kommt das doch ein bisschen als
Aktionismus vor“, sagte sie. Es gäbe auch Alternativen wie den Wasserstoffbus, der in Kürze kommen
würde. Vordinglichstes Ziel sei jetzt ein Mobilitätskonzept, ihr komme die Resolution ein wenig vor wie
„Wahlkampfklamauk“.
Sein persönliches Erstaunen nach diesen Aussagen formulierte anschließend Michael Maurer (SPD)
und zitierte aus dem geltenden Koalitionsvertrag der Landesregierung. Dann stellte Maurer fest: „Ich
kann für die SPD sagen, dass wir ohne Wenn und Aber zu diesem Koalitionsvertrag stehen.“ Bei dem
ein oder anderen Bürger müsse vor Ort zwar noch für die Bahn geworben werden, aber insgesamt
gäbe es schon ein Umdenken, in den Städten würden auch die Kosten fürs Parken enorm steigen. „In
einer Zeitspanne von vielleicht fünf oder zehn Jahren ist das Umdenken da“, mutmaßte Maurer. Wenn
der Bund 8,6 Milliarden pro Jahr bis zum Jahr 2030 ausgebe, dann müsse man zugreifen. „Die
Bahnanbindung im Rhein-Hunsrück-Kreis darf sich nicht nur auf das Mittelrheintal und Emmelshausen
beschränken“, sagte Maurer. Gerade hinsichtlich des Tourismus müssten die Vorzüge der Bahn
betrachtet werden. Die Bahnstrecke zwischen Rheinböllen und Kirchberg zum Radweg umzuwidmen,
wie es laut Maurer ein Mitglied aus den Reihen der SPD empfehlen würde, wäre rausgeworfenes Geld.
Ralf Schönborn erklärte für die AfD, dass eine Resolution gefasst werden könne, aber ideologische
Gründe der Grünen hier keine Rolle spielen dürften, sondern vielmehr müssten positive
volkswirtschaftliche Parameter vorliegen. Er wies auf mehr als 800 Einwendungen im laufenden
Verfahren hin, zudem sieht die AfD „erhebliche Risiken“ durch Baupreissteigerungen sowie abfallende
Passagierzahlen am Hahn und eine fehlende Akzeptanz durch die Öffentlichkeit. Schönborn sprach
sich für die Stärkung des Straßenverkehrs und einen Ausbau der bestehenden Trasse als
Radwanderweg aus – die AfD stellte am Ende drei Gegenstimmen, es gab neben der FDP eine
Enthaltung aus der SPD.
Klar für die Resolution zeigten sich die Freien Wähler, für die Stefan Wickert bündig erklärte, dass
hinsichtlich der Bahn eigentlich nicht die Kommunalpolitik, sondern das Land gefordert sei. „Wir
erwarten, dass die Politik zu Potte kommt“, sagte er klar. Es war ein Satz, für den sich Landrat Bröhr
ausdrücklich bedankte. Er bekräftigte, dass seit Jahren das maßgebliche Verfahren laufe und die
Reaktivierung der Strecke in den Koalitionsverträgen verankert sei.
Die ihm zuvor in der Sitzung nahegelegte Mitverantwortung in dieser Sache wies er zurück. Denn bei der Bahn sei das Land
gefragt.
Von unserem Chefreporter Volker Boch
Resolution des Kreistags umfasst sechs Punkte
Die Resolution des Kreistags umfasst diese sechs Punkte zur Reaktivierung der
Hunsrückquerbahn.
1 Der Kreistag des Rhein-Hunsrück-Kreises begrüßt die im Klimaschutzprogramm 2030 enthaltende
Entscheidung des Bundeskabinetts vom 20. September 2019 zur Erhöhung der Attraktivität des
Schienenpersonenverkehrs (SPNV), insbesondere die Investition von 86 Milliarden Euro bis 2030 in
die Erneuerung des Schienennetzes. Gleiches gilt für den sogen. „Schienenpakt“ vom 30. Juni 2020
und den Europäischen Klimapakt, welcher ebenfalls den Schienenverkehr bevorzugen will und am 5.
März 2020 das Jahr 2021 zum „Jahr der Schiene“ ausgerufen hat.
2 Der Kreistag wünscht sich, dass der Rhein-Hunsrück-Kreis von den Maßnahmen zur Erhöhung der
Leistungsfähigkeit der Schieneninfrastruktur aus Bundes-, Landes- und EU-Zuschüssen profitiert und
hieran wieder angebunden wird.
3 Der Kreistag fordert das Eisenbahnbundesamt und den Landesbetrieb Mobilität auf, das seit 2010
laufende Verfahren zur Reaktivierung der Hunsrückquerbahn (HQB) mit der Strecke Langenlonsheim–
Flughafen Hahn zu beschleunigen. Der Planfeststellungsbeschluss muss nun zeitnah fertiggestellt
werden.
4 Der Kreistag fordert die DB Netz AG auf, Finanzmittel für die Ertüchtigung und Inbetriebnahme der
HQB vorzusehen und verweist hierzu auf die möglichen Zuschüsse des
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (Stand: 18. März 2020) von bis zu 90 Prozent
Bundeszuschüsse, der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zum Nahverkehr zwischen
Bund und Deutscher Bahn und weiterer Fördertöpfe.
5 Der Kreistag bittet die Landesregierung um dringende Unterstützung für dieses Vorhaben, indem sie
sich auf Bundes- und Landesebene sowie beim Zweckverband SPNV Rheinland-Pfalz Nord einsetzt
und den Prozess aktiv begleitet.
6 Der Kreistag beauftragt den Landrat, sich mit den betroffenen Bürgermeistern entlang der Strecke
sowie mit den Landräten der Kreise Bad Kreuznach, Birken-feld, Bernkastel-Wittlich und Trier-Saarburg
für eine konzertierte Aktion zu Gunsten der Reaktivierung der HQB abzustimmen.
Kommentar:Volker Boch zur Resolution des Kreistages
Die Bahn passt ins Gesamtpaket
Rollen in zehn Jahren wieder regelmäßig Züge von Rhein und Nahe herauf in Richtung Hunsrück?
Steigen vielleicht Menschen in Simmern in einen Waggon, um zur Arbeit in Mainz zu pendeln? Bleiben
junge Erwachsene als Studenten im Hunsrück wohnen, da sie mit dem Zug zur Uni oder
Ausbildungsstätte in die Stadt fahren können? Auf diese Fragen zu antworten, ist in etwa so ähnlich,
wie die Bundesliga-Ergebnisse des kommenden Wochenendes vorauszusagen. Nur schwer möglich.
Denn wie so oft im Leben, wird es am Ende vom Geld abhängen, von einer sogenannten KostenNutzen-Analyse und der anschließenden Frage, ob es Sinn ergibt, viele Millionen Euro in die Netz- und
Betriebsinfrastruktur zu investieren.
Wer verfolgt, wie bundesweit finanzielle Mittel in erheblichem Ausmaß in einige Großprojekte und viele
kleine lokale, in der Summe aber ebenfalls beträchtliche Vorhaben gesteckt werden, merkt schnell,
dass es bei der Hunsrückquerbahn am Ende vielleicht doch nicht allein ums Geld gehen muss. Es geht
womöglich doch um eine simple Frage, die ein Stück weit sogar etwas mit „Bauchgefühl“ zu tun hat:
Braucht die Region die Bahn oder nicht? Wer konsequent all die Ansätze, die im jüngsten Kreistag
Thema waren, vom „Gelobten Land“ über die Ansiedlung junger Familien, Energiewende, Tourismus,
Mobilität der Zukunft bis hin zum Digitalpakt an den Schulen zu Ende denkt, der kann auf die Idee
kommen, dass es aufs Gesamtpaket ankommt. In das die Bahn durchaus passen würde.
Politik braucht Mut. Oft gibt es stattdessen aber Berater, Planer und Papiere, die Analysen erörtern, um
auf dieser Basis Entscheidungen zu treffen. Diese Papiere ersetzen mitunter Mut, sind aber nur selten
mutig. Der seit Jahren schneckenartig schleichende Reaktivierungsprozess steht für einen eher
„unmutigen“ Akt. Insofern ist das Signal des Kreistags wichtig und richtig. Denn irgendwann muss auch
mal entschieden werden