Grauwacke hat geschrieben:Hallo Horst,
habe Dank für dieses tolle Bild. Neben der prachtvollen Lok, beachte man auch einmal das stolze Personal auf und neben der Lokomotive. Damals war der Eisenbahner noch ein ehrbarer Beruf, demgegenüber jeder seinen Respekt zollte. Was ist heute von dem Glanz geblieben?
1865 war das noch nicht überall so.
Ein dampfendes Stahlvieh wurde nicht selten als Höllengeburt angesehen, der "Herrscher" auf der Maschine als Gehilfe des Teufels, näherte sich ein solches Gespann, wurden die Kinder von der Straße geholt und ein Kreuz geschlagen.
Sehr beredt in diesem Zusammenhang etwa die Eintragungen der Pfarrer und Dorfchronisten Rheinhessens zu den ersten Streckenuntersuchungen um 1860, man sah die Eisenbahn als Werk des Satans an, dementsprechend predigten die Pfarrer, die Landärzte malten in schillernden Farben Gesundheitsgefahren aus, die Bevölkerung wehrte sich gegen die Zerschneidung ihrer Felder und befürchtete Mißernten.
Ein Winzer bei Flörsheim-Dalsheim (Strecke Bingen-Alzey-Worms)bemühte gar Gutachter und Gerichte, er befürchtete durch den Nässestau an Bahndämmen, daß seine Silvanertrauben verfaulen.
Ein anderer Bewohner Rheinhessens ging wegen seines chronischen, angeblich durch den Dampf der Loks ausgelösten Hustens gerichtlich gegen den Staat Hessen vor.
Der katholische Pfarrer von Nieder Olm (Strecke Mainz-Alzey) las Messen für das Seelenheil der Bahnbefürworter, er bescheinigte ihnen eine ähnliche Gesinnung wie beim Turmbau zu Babel.
Wilhelm Holzamer berichtet in seinem Buch "Von Jahr und Tag" vom Bau der Strecke Mainz-Alzey folgendermaßen:
"Eines Tages gaben sich der Ingenieur Kamper und der Ingenieur, der von der Pfalz aus die Strecke ins Mainzerland hereinführte auf der Brücke des Viaduktes der Eulenmühle die Hände. Die beiden Wege waren vereinigt, der von der Pfalz ins Mainzerland, und der vom Mainzerland in die Pfalz. Unterm Viadukt war ein Fass Bier angestochen und die beiden Arbeitergruppen feierten das vollendete Werk.
Andern Tags kam der Oberingenieur aus Mainz und nahm die Strecke ab. Dann sauste eines weiteren Tags eine Lokomotive durchs Land - den einen zum Schrecken, den anderen zur Verwunderung - unaufhaltsam, so dass niemand sich das Ungetüm so recht angucken konnte.
Alle Bahngebäude waren bekränzt und beflaggt - viele Häuser der anliegenden Dörfer hatten Fahnenschmuck angelegt.
Die Arbeit ruhte. Von den benachbarten Dörfern kamen die Leute nach den Stationen, sich das neue Schauspiel anzusehen. Der erste Bahnzug sollte heute das Land durchqueren - die einen sahen ihm mit freundlichen Gefühlen entgegen, die anderen wünschten ihm alles Unglück - und andere prophezeiten alles Unheil, eine Umkehrung der Verhältnisse für das Land.
Plötzlich gab's einen dumpfen rollenden Ton - fern und gedämpft, ohne dass etwas zu sehen gewesen wäre - dann ein Pfiff, der seltsam übers Tal hinrollte und hart in den Ohren gellte - der Zug wendete und bog über den hohen Damm. Alle schrien auf. Wie er die Biegung machte, schien's, er schwanke und müsse die steile, hohe Böschung hinunterstürzen. Aber er fuhr den Bogen schön aus - die Fenster klirrten und der Boden zitterte, die Maschine fauchte - weißer, fetter Rauch zog übers Land hin - und die Räder ratterten - dann sah man die letzten Wagen zwischen den ausgetragenen Böschungen verschwinden."Hier kann man sehr schön noch 1871 die Ambivalenz herauslesen, die in der Bevölkerung in puncto Bahn herrschte.
Die Einstellung änderte sich erst ab etwa den 1880er Jahren, als sich die Vorteile eines Bahnanschlusses herausschälten und auch die befürchteten Umweltfolgen ausblieben, oft aber auch erst, als üppige Entschädigungszahlungen geflossen waren.
Die Gesellschaft im 21.Jahrhundert: Bei vielen nichts anderes als das Fortleben des prähistorischen Menschen unter der dünnen Schale der Zivilisation.