Zu Beginn des 20.Jahrhunderts erweiterte die Stadt Bingen ihre Hafenanlagen durch eine große Uferaufschüttung. An dieser Stelle auch hochwassertechnisch kein Problem, denn hier ist der Rhein fast einen Kilometer breit. Natürlich stattete man diese neuen Rheinanlagen auch mit einem passablen Schienennetz aus, das direkt an die linke Rheinstrecke angeschlossen war. Noch bis in die 1980er Jahre gab es hier Schienengüterverkehr. Man konnte Massengüter per Frachtschiff an den Binger Hafen bringen und dann per Bahn weiter Richtung Rheinhessen, Hunsrück und Nahetal verteilen. Für Empfänger bzw. Versender ohne Bahnanschluß stand die bahnamtliche Spedition Wendel mit Lkw bereit. Eine perfekte Logistik, die heute seinesgleichen sucht.
Wenn etwa 1980 ein Güterwagen um 15.30 Uhr aus dem Hunsrück hier in Bingen ankam, wurden die Wagen noch auf die abfahrenden Güterzüge verteilt und nicht selten war das Frachtgut bereits in der selben Nacht noch 500km weiter verfügbar. Umgekehrt war ein Frachtschiff mit Düngemitteln, am Vortag im Binger Hafen angekommen, am nächsten Tag auf Güterwagen umgeladen und dann bereits zügig auf dem Weg zum Raiffeisen-Bahnanschluß in den Raum Simmern. Heute, wie gesagt, nicht mehr in dieser Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit denkbar.
Ein Bild aus der Sammlung Miles Anglo, Bingen, zeigt die neuen Rheinanlagen um 1910
Sehr interessant auch dieses Foto von 1915 aus der Sammlung von Alfred Berg, Bingen.
Es zeigt sehr viele schöne Details der damaligen Binger Bahnwelt (evtl müßt ihr das Bild vergrößern). So etwa das mitten in den Gleisen gelegene Befehlsstellwerk, das später durch das Reiterstellwerk ersetzt wurde. Im Vordergrund links eingereiht in einen dreiteiligen Güterzug ein Kesselwagen. Ich vermute, es handelt sich um eine Lieferung Wein für eine der Binger Weinbrennereien Racke, Schneider-Texier oder Scharlachberg, die jeweils Bahnanschlüsse hatten. 1906 hatte man vom Binger Bahnhof ausgehend eine normalspurige Nebenbahn bis Büdesheim bzw. Dietersheim gebaut, u.a. um diese Weinbrennereien Scharlachberg und Racke an das internationale Bahnnetz anzuschließen. Bis 1957 wurden diese Anschlüsse genutzt.