Ein Arbeitstag im Güterverkehr im Hunsrück 1990




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Ein Arbeitstag im Güterverkehr im Hunsrück 1990

Beitragvon Horst Heinrich » Mi 29. Jul 2020, 18:08

Seit den 1960er Jahren komme ich bahnmäßig in den Hunsrück. Damals dominierten im Pv VT 98 und im Güterverkehr die BR 50 und die V 100 mit ihren Ng's die Strecken. Vor Personenzügen sah man auch mal V 100 mit 3y-Wagen.
Ein Onkel von mir, Onkel Arno, war Lokführer in Bingerbrück, der damals hin und wieder eine 50er in den Hunsrück führte, ich nervte meinen Vater, mit mir mit dem Fiat 1300 die Strecke abzufahren, von der Onkel Arno immer wieder schwärmte.
Die Arbeit hier war richtige Lokführer-Arbeit, viel anspruchsvoller als eine 103 von Mainz nach Emmerich und zurück zu führen, meinte Onkel Arno vielsagend.
Damals infizierte ich mich mit dem Hunsrückbahn-Virus.

Die Bahnfracht in den Hunsrück wurde -nach Einstellung des Personenverkehrs Simmern-Langenlonsheim und Abzug der Fdl in Heddesheim, Windesheim und Schweppenhausen 1984- in Bingerbrück bzw.Bad Kreuznach, gewissermaßen in zwei Teilen bereitgestellt und ab Langenlonsheim in der Regel mit der BR 211/212 zwischen 8 und 9 Uhr in den Hunsrück hinaufgeschafft.
Alle technischen Anlagen waren in Betrieb, die Höchstgeschwindigkeit war abhängig von den Dauer-La und lag zwischen 30 und 60 km/h.
Das Zugförder-Team bestand aus Lokführer und in der Regel einem Rangierer.
Immerhin konnten in Stromberg und Simmern noch Zugkreuzungen stattfinden.

Ein erstes "Hindernis" waren die handbedienten Schranken in Heddesheim (Guldental) und Windesheim. Das war Aufgabe des Rangierers. Schranke schließen, Tfz zieht vor bis über den BÜ, Schranke öffnen, Rangierer "springt" auf, weiter geht's.
Es wurden nicht immer alle Tarifpunkte bedient, aber viele Tarifpunkte gab es noch und sie wurden -wenn auch nur gelegentlich- angefahren. Und wenn es nur für einen Wagen Brikett war.
Weiche aufschließen, Wagen "raus-, bzw. reindrücken", Lok rausfahren, Weiche in Endstellung, verschließen, Zug kuppeln, weiter gehts.

Gute Stammkunden mit regelmäßiger Bedienung waren diverse Raiffeisenlager, die Bundeswehr, die US-Armee, das Fernmeldezeugamt in Simmern, die Hochscheider, Hinzerather und Morbacher Holzindustrie.
War der Zug in Simmern angekommen, wobei ankommende Wagen zwischen Langenlonsheim und Simmern bereits ausgesetzt und abgehende eingestellt waren, wurde zunächst die Strecke Simmern-Kastellaun "abgeklappert". Die Ladestellen Kastellaun, Bell und Lingerhahn waren recht gut durch Raiffeisen, Bundeswehr und Forstwirtschaft frequentiert.

Nach der Rückkehr nach Simmern ging es Richtung Morbach. Hier war der erste gute Kunde das Bundeswehrdepot in Kappel, das über Kirchberg versorgt wurde, der zweite war das Sägewerk Kunz in Sohren, dann kam die US-Airbase Hahn mit Anschlußstrecke ab Büchenbeuren (der aber seltener bedient wurde), weiter Richtung Westen das Sägewerk Karl Decker in Hochscheid, danach die Rail-Road-Siding-Anlage Zolleiche mit den Munitionsdepots Wenigerath und Weitersbach.
Im Gemeindegebiet von Morbach lagen die Sägewerke Eugen Decker Hinzerath, Kunz und Decker in Morbach selbst und das Papierwerk Mettler.

Bis etwa 15 Uhr war hier alles fertig und die Rücktour begann. In Simmern wurden die gesammelten Wagen aus Richtung Kastellaun hinzugefügt, dann ging es zurück Richtung Nahe. Der rückkehrende Zug zählte nicht selten 20 Wagen und oft war eine Schiebelok notwendig.

Wie gesagt, das war noch in den 1990er Jahren ein ganz normaler Güterverkehrs-Arbeitstag auf dem Hunsrück. Vier Eisenbahner, zwei in den Stellwerken Simmern und Stromberg, zwei auf der Lok hatten mehr als " ihr" Geld verdient.

Ob es jetzt durch die Firma WRS ein Revival gibt, wird sich zeigen.
Viele gute Kunden sind abgesprungen, die alte Infrastruktur ist so nicht mehr nutzbar, wobei ich u.a. an die Stellwerke und die vielen BÜ's mit ihren Blinklichtanlagen denke.
Es ist das Verdienst vieler Bildautoren, stellvertretend möchte ich Markus Göttert, Andreas und Günter Tscharn, Dr.Frank Halter (Pille) und Prof. Dr. Wolfgang Feuerhelm nennen, die dieses Geschehen fotographisch dokumentiert haben, so etwa hier:

http://forum.hunsrueckquerbahn.de/viewtopic.php?t=44674

Daß Markus Götterts Hunsrück- und Nahebahn-Seiten vom Netz gegangen sind, ist ein herber Verlust bis heute.

Anmerkung
Als ich 2006 nach Hirschfeld kam und mein Quartier in Sichtweite der Strecke bezog , habe ich mir immer wieder Güter- und Personenverkehr hier gewünscht. Ab 2008 habe ich, nach einer zufälligen Begegnung mit einem Klv 12, der sich über Brombeerbüsche bei Wahlenau den Weg nach Büchenbeuren erkämpfte, selbst zwischen Büchenbeuren und Hermeskeil an der Reaktivierung mitgewirkt - es war in unserem 15-Mann-Team eine ungeheure Aufbruchstimmung, dieses Team hätte Betrieb und Unterhaltung der Strecke locker gestemmt und mit Bernd Heinrichsmeyer als erfahrenem und motivierten Eisenbahnunternehmer im Rücken hätten wir auch Weiterungen geschafft. Es kam leider, auch bedingt durch die gesamtwirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen anders.

Ich hoffe, daß das Geschehen um WRS jetzt wieder nicht nur ein Strohfeuer und daß das ganze nicht nur ein Hirngespinst von Spielzeugeisenbahnern ist.
Die Gesellschaft im 21.Jahrhundert: Bei vielen nichts anderes als das Fortleben des prähistorischen Menschen unter der dünnen Schale der Zivilisation.
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Horst Heinrich
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von Anzeige » Mi 29. Jul 2020, 18:08

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