Bahnbrücken im desaströsen Zustand




Bahnbrücken im desaströsen Zustand

Beitragvon Horst Heinrich » Mo 6. Apr 2020, 21:57

Die Gesellschaft im 21.Jahrhundert: Bei vielen nichts anderes als das Fortleben des prähistorischen Menschen unter der dünnen Schale der Zivilisation.
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von Anzeige » Mo 6. Apr 2020, 21:57

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Re: Bahnbrücken im desaströsen Zustand

Beitragvon Dieselpower » Di 7. Apr 2020, 09:57

Das hat man davon, zehn Jahre eine Heuschrecke wie Mehdorn an der Spitze des Konzerns zu setzen, noch dazu die wichtigen Jahre zu Anfang des Jahrtausends. Zu Bundesbahnzeiten wurde die Infrastruktur natürlich gewartet, dann begann der Sparkurs über die ersten Jahre, der immer schlimmer wurde, und dann unter Mehlwurm seinen Höhepunkt fand, mit anderen Worten, Bauwerke wurden fast zwei Jahrzehnte sukzessive vernachlässigt. Hier würde nur ein radikaler Umkehrkurs helfen.

Im Königreich waren auch die ersten Jahre nach der Privatisierung schlimm, dann wurde es schlimmer, dann kamen die Katastrophen, und dann die Wiederverstaatlichung des Netzes. Und heute? Prachtvoll sanierte Brücken aus dem 19. Jahrhundert, über die moderne Expresszüge mit 200 km/h rauschen, bis rauf in die Highlands sieht man Gleisbaumaschinen und -höfe längs der Strecke, Brücken im Rannoch Moor (5 Zugpaare täglich), Kunstwerke längst vergangener Ingenieurepochen erstrahlen im neuen Glanz, gußeiserne Bahnsteigüberdachungen, filigran gestaltet, mehrfarbig handbemalt laden zum Reisen ein...Nix Betonkeule - aber bei uns ist der Verfall vermutlich schon so schlimm, daß es hier und da nicht mehr anders geht - aber eben nicht überall.
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Re: Bahnbrücken im desaströsen Zustand

Beitragvon Horst Heinrich » Mi 8. Apr 2020, 22:15

Mir war ja dieses Rumpelstilzchen aus der Schröder-Camorra auch noch nie gelegen, aber die Zerstörung der Bahn-Infrastruktur durch Investitionsverweigerung geht auf die Zeit zurück, da war Mehdorn noch Werksleiter bei Focke-Wulf und hatte wahrscheinlich mit der Bahn soviel "am Hut" wie eine Kuh mit dem Fliegen.

Schon in den frühen 1970er Jahren wurden dringend notwendige Sanierungen immer wieder gecancelt, das "betriebswirtschaftlich optimale Netz BOS" mit Schienenverkehr auf nur noch rund 15.000 Schienenkilometern war eine Geburt der Eheleute Gscheidle/Vaerst im Auftrag der damaligen SPD-geführten Bundesregierung.

Man muß dazu sagen, daß man damals wie heute nicht bedacht hat, daß viele Strecken per se nicht überlebensfähig waren.
Sie wurden zwischen 1850 und 1890 aus egoistischen Motiven von Industriellen und lokalen Wirtschaftsgrößen geschaffen ohne Rücksicht auf ein Verkehrsbedürfnis der breiten Masse.

Damit hatten sie spätestens seit der Einführung von Omnibussen und später Autos/Motorrädern verloren, das haben wir hier in unserem Forum ja auch oft dargestellt, weil wir seriös und keine ferrophilen Spinner sind.

Man hätte jede einzelne Strecke und ihre Opimierungsmöglichkeiten freilich nach anderen wie den Parametern von 1975 untersuchen und dabei auch Faktoren wie Regionalentwicklung und Verkehrslenkung einfließen lassen müssen.
Dann wären prosperierende Strecken erhalten geblieben (da könnte ich aus dem Stegreif in meinem "Beritt" zehn, inzwischen stillgelegte benennen), andere wiederum, völlig chancenlos (auch da fallen mir einige ein) hätte man halt aufgegeben.

So aber waren die Stillegungorgien der 1960er, 70er, 80er und 90er Jahre planlos und teilweise absurd.

Aber Hartmutsche hat dann nur noch die Scherben aufgekehrt und sich selbst gut verkauft, seine faulen Stellen als Fallobst hat er geschickt weggeschminkt.
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Re: Bahnbrücken im desaströsen Zustand

Beitragvon Dieselpower » Do 9. Apr 2020, 12:01

In den 60ern gab es auf der Insel auch die "Beeching-axe", die Beeching-Axt (Nach dem damaligen BR-Chef Richard Beeching, der eine ähnliche Phantasie eines lukrativen minimalen Rumpfnetzes hatte), die das Ende für tausende km Nebenbahnen im UK einläutete. Sogar Hauptstrecken (Teile der Great Western Mainline und der East Coast Mainline) waren von der Stillegung bedroht, zum Glück wurden nicht alle Empfehlungen von Beeching II umgesetzt...

Eine schier unübersichtliche Anzahl an Museumsbahnen auf Teilstrecken war das erfreuliche Nebenprodukt. Aber heute werden auf dem Planum der alten Linien neue Gleise verlegt (z.B. Edinburgh - Tweedbank, der weitere Wiederaufbau bis Carlisle wird mit guten Aussichten diskutiert), mit dem sympathischen Effekt, daß auch die klassischen Kunstbauten von damals in neuem Glanz erstrahlen, und sich die Bahn ohne Beleidigung der Augen wieder harmonisch in die Landschaft einfügt, da der Trassenverlauf wieder so aussieht, wie es mit den Mitteln des frühen 19. Jahrhunderts möglich war. 150 Jahre alte Brücken sehen aus wie neu, nur wenige komplett marode Bauwerke mußten fallen, meist wurden sie über die Jahrzehnte fremdgenutzt (Rad- und Gehweg oder Straße) oder sie blieben einfach als Wahrzeichen des Ortes stehen, und wurden wegen darunterliegender Gebäude und Straßen halbwegs unterhalten. Hier und da wurden Gleisbögen mit minimalen Eingriffen in die Landschaft aufgeweitet, um die Geschwindigkeit attraktiv zu erhöhen, fertig ist die mit bis zu 120 km/h zu befahrene wiedergeborene Waverley-Line. Der Erfolg war so überraschend groß, daß man schnell über zusätzliche Kreuzungsmöglichkeiten nachdachte, es muß auf Halbstundentakt erweitert werden, damit hatte niemand gerechnet, aber dank ausreichend großer P+R-Möglichkeiten an den Stationen hat die "Wiedergeborene" ein irre großes Einzugsgebiet von ca. 200.000 Reisenden in den Borders und Midlothian - und wurde dankend angenommen! Schon im erstem Jahr wurden die Erwartungen um >50% übertroffen. Die ganze, sehr spannende Erfolgsgeschichte hier :arrow: https://de.wikipedia.org/wiki/Waverley_Line

Diese positive Grundhaltung der Bevölkerung und das vorausschauende Planen fehlt bei uns einfach.
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Re: Bahnbrücken im desaströsen Zustand

Beitragvon Horst Heinrich » Do 9. Apr 2020, 22:01

Dieselpower hat geschrieben:
Diese positive Grundhaltung der Bevölkerung und das vorausschauende Planen fehlt bei uns einfach.


Da gebe ich Dir recht. Allein im Ballungsraum Mainz-Alzey-Worms, um nur ein Beispiel zu nennen, könnte man einige Strecken einer neuen Bedeutung zuführen, tausende Pendler würden gerne in einem Nahverkehrstriebwagen sitzen, denn in Staus auf dem Mainzer Ring.

Aber es fehlt das vorausschauende Planen!

Mein Paradebeispiel: Die alte KBS 661 Bodenheim-Alzey.
Ohne nennenswerte Kunstbauten erschloß sie 11 rheinhessische Orte direkt und war von 6 weiteren nur wenige Kilometer entfernt.
Von Bodenheim fuhren einige Züge schon nach Mainz durch oder begannen dort.

Die genannten Orte sind in den letzten 30 Jahren gewaltig gewachsen, bisweilen hat sich ihre Einwohnerzahl verdoppelt, die gesamte Region ist nach Mainz-Wiesbaden-Frankfurt hin orientiert.
Bei der Streckenstillegung für den Personenverkehr am 31.05.1985 war diese Tendenz schon erkennbar.

Damals haben wir, eine Handvoll Studenten der Universität Mainz eine Initiative gestartet und jeden Gemeinderat, Bürgermeister, Kreistagsmitglied an der Strecke mit einer umfassenden Darstellung der Bedeutung und der Chancen dieser Strecke angeschrieben.
Das waren einige tausend Kopien, die Portokosten lagen im dreistelligen Bereich, ich selbst fuhr damals Bus "Im Auftrag der Bundesbahn" oft parallel zum Zug zwischen Mainz und Kirchheimbolanden, ich habe die Leute angesprochen, Werbung für die Strecke gemacht, ihre historische Bedeutung referiert, nicht zuletzt das sichere Verkehrsmittel angepriesen, denn es gab fast keine Tour mit dem Bus durch die Dörfer, wo es nicht beinahe cecrasht hätte, meist im Begegnungsverkehr der engen Ortsdurchfahrten.

Die meisten Mandatsträger, ich will mal sagen 98%, haben gar nicht reagiert, andere hatten Ausflüchte, zwei Menschen mit Verstand und Weitblick sind mir besonders in Erinnerung. Der Alzeyer Landrat Rolf Rein, ein erklärter Gegner der Stillegung, ein feiner Mann, er schrieb uns: "Sie haben heute schon die Antwort auf Fragen, die man sich in der Zukunft stellen wird, aber es ist wohl das Schicksal von Visionären, daß sie dann, wenn es angebracht wäre, nicht ernst genommen werden. Ich jedenfalls danke Ihnen ganz herzlich!"
Der zweite war der Ortsbürgermeister von Gau-Odernheim, er führte sogar im Gemeinderat eine Abstimmung für eine Resolution zum Erhalt herbei, aber hier enthielten sich sogar einige seiner Parteifreunde, die meisten anderen stimmten dagegen, darunter einer der Fahrdienstleiter von Gau-Odernheim, aber er ist in diesem Jahr sowieso in vorzeitige Pension gegangen (mit 56).

Bei dieser Thematik habe ich langsam das Gefühl, alles folgt schon fast paralysiert wie Lemminge einem verhinderbaren Unglück, jeder erkennt den Unsinn, zeigt sich aber machtlos.
Ich bin ja ein großer Fan des menschlichen Gehirns, allein schon von berufswegen,aber manche "Schaltfehler" erschließen sich mir nicht und bringen mich schier zur Verzweiflung.
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