Die Diskussion "früher war alles besser als heute" wurde bekanntermaßen zu allen Zeiten geführt und natürlich hat auch diese Ansicht ihre Schwächen.
Was ich aber mit Gewißheit sagen kann -und hier spreche ich als grenzgehender Zeitzeuge zwischen drei Jahrhunderten, Vater (eines Sohnes Jahrgang 1992), Lehrer, Psychopathologe und nicht zuletzt M.A. in VWL- daß Urteilsfähigkeit, Handlungskompetenz, für eine sinnvolle Lebensgestaltung notwendiges Basis- und Überblickswissen beständig zurückgehen.
Wir nähern uns einer Gesellschaft, die -um es einmal zu umreißen wie einer meiner akademischen Lehrer sich in den 1980er Jahren sarkastisch ausdrückte- "irgendwann vor einem prallgefüllten Kühlschrank verhungert, weil sie nicht weiß, wie er sich öffnet".
Die junge Generation ist aber in ihrer Lebensertüchtigung auf die beiden vorherigen Generationen angewiesen, doch diese beiden Vorgenerationen versagen heute bereits selbst. Weder das Gros der Eltern, noch der Großeltern heute haben annähernd noch diese "Unterweisungskompetenz", die unsere "Unterweiser" der Jahrgänge 1890 bis 1930 hatten . Oft fehlt hier schon das wirkliche Interesse an Kindern und Enkelkindern.
Das Leben der Kleinen wird professionell mithilfe von bezahlten "Unterstützern" (Kinderkrippe und Wirtschaft) inszeniert, wir hingegen wurden nebenbei groß, die Alten machten einfach weiter, wir liefen aufmerksam mit. Heute wird das Kind zum "Projekt", es wird gecoacht, optimiert, manipuliert, in Schablonen gepreßt, konditioniert und dressiert, auf ein unkritisches Konsumentendasein vorbereitet, nicht aber angenommen und "geliebt" und im Produzieren statt Konsumieren unterstützt.
Ich nenne das das Flitzebogen-Syndrom: Wir bastelten noch mit dem Vater den ersten Flitzebogen, der heutige Vater fährt ihn mit dem Kind bei Toys-R-us kaufen, weil er selbst keinen mehr bauen kann.
Ersetze Flitzebogen durch Baumhaus, Seifenkiste, Fahrradreparatur ...
Statt Liebe und kreative Abenteuer in Feld und Wald gibt es eine allumfassende Versorgung mit käuflichen Events wie Indoor-Adventure-rooms, Jump-Parks, Kletterwald etc.
Ob ich einen Hund, ein Schwein oder ein Kind großziehe, ist im Prinzip egal, das emotionale Engagement ist das gleiche.
Einer der ersten, der dies erkannt hat, und zwar in den 1970er Jahren, war Ronald D.Laing.
Hier ein Interviewausschnitt:
https://www.youtube.com/watch?v=AXnOhPT2rBEEr prägte den Begriff vom modernen Kind als "Kunstprodukt in einer künstlichen Welt".
Im Jahre 2005 in Bingerbrück.
Drei Schüler aus Mainz, die unsere Schule besuchten, haben auf dem Bahnsteig ihren Zug wegfahren lassen.
Was war passiert?
Zum ersten Mal wurde der Zug nachgeschoben, die Lok war hinten.
Damit kamen die Schüler nicht zurecht, sie dachten, der Zug fährt immer nur in die Richtung, in der die Lok steht.
Wie gesagt, 2005! Diese Schüler sind heute selbst Väter und Mütter...
Das war für mich spätestens der Moment, über die Handlungskompetenz der jungen Generation nachzudenken und seitdem gab es immer wieder haarsträubende Überraschungen...
Ach übrigens, nochmal zurück zur oben erwähnten "Generationenkooperation".
Es ist traurig, wenn ich in meiner Praxis junge, völlig überlastete und ratlose Eltern erlebe, die händeringend den Kontakt zur Großelterngeneration suchen und ihn auch bräuchten und höre dann, daß Oma und Opa keine Zeit für die Enkel mehr haben, weil sie mit dem Wohnmobil die Straßen und Campingplätze Europas unsicher machen, mit dem E-Bike die Tiere im Wald aufscheuchen, vier Mal wöchentlich im Fitneßstudio versuchen, schneller zu laufen als der Tod, der hinter ihnen her ist oder die die Sommerferien mit Freß- und Sauforgien auf Kreuzfahrtschiffen unter verhaßten Gleichgesinnten vergeuden anstatt mit den Enkeln mal eine Woche im Garten oder am Waldrand zu zelten.
Und Jean-Pierre,
185ziger hat geschrieben:
Heute würde Aufgrund vom Smartphone-Videos, die die ABC-Schüler anfertigen, der Fahrer von den Eltern verklagt werden...
Man was ändern sich die Zeiten
das ändert sich inzwischen auch wieder, denn wenn das Unternehmen nicht mehr hinter dem Fahrer steht, ist dieser schneller weg, als Ersatz beschafft werden kann, da der Fahrermangel ist inzwischen vielerorts für Busunternehmer existenzgefährdend ist.
Übrigens, die zunehmende aggressive Respektlosigkeit von Schülern in Schulbussen ist für viele Bekannte hier im Hunsrück, die als Busfahrer gearbeitet haben, auch nebenberuflich, der Grund gewesen, wieder auf LKW im Nahverkehr umzusteigen.
Für mich gäbe es einen Grund, noch einmal ins Aushilfsbusfahrermetier einzusteigen, denn die Klasse D habe ich nochmal verlängern lassen und das wäre dieser Traum meiner schlaflosen Nächte seit 35 Jahren...
Da würde ich auch 50 arme verzogene und emotional verwahrloste Schulkinder zwei Stunden ertragen...
http://www.oldtimerbus.org/mercedes-benz-o-3500/
Die Gesellschaft im 21.Jahrhundert: Bei vielen nichts anderes als das Fortleben des prähistorischen Menschen unter der dünnen Schale der Zivilisation.